Vogelschacht, unvollendet, und: Schmetterlinge im Schacht

11. August 2019   Rax

Wenn ich von den neuesten Rax-Forschungen erzählen soll, dann muss ich über zwei verschiedene Dinge berichten. Da ist einmal die Sache mit dem Mordstrumm Schacht mitten in den dichtesten Latschen, nur knapp über dem Göbl-Kühn-Steig zwar, aber eben mitten in den dichtesten Latschen und bis ins vergangene Jahr unbekannt. Gesehen haben ihn dann Lindi und ich Ende September 2018 vom Gipfel der Preinerwand aus, und am selben Abend noch zwei Mal, und zwar im Laserscan und als SPELIX-Warteeintrag vom überall herumwuselnden Volki, der ihn nämlich schon ein paar Wochen vorher entdeckt und auch besucht hat. Er meinte einige Tage später, gute Kletterer könnten wahrscheinlich frei zum Grund hinunter steigen, und soweit man es von oben sehen könne gibt’s auch keine Fortsetzung, aber katasterwürdig sei er vielleicht schon.

Die zweite Sache kam erst vor wenigen Tagen auf. Da rief mich der Robert an, dass es auf der Rax einen neuen Schacht gäbe. Der Franz von der Seehütte hätte es ihm gesagt. Gleich neben dem schon bekannten Schacht am Wandfuß soll er sein, beim neuen Einstieg des Königschusswandsteigs. Der Erich wisse auch schon Bescheid, von wegen Bergrettung uns so, und der hätte im SPELIX nachgeschaut und nichts Entsprechendes gefunden. Erstaunlich, denke ich mir, es gibt also in den Dolomitschrofen unter der Preinerwand sogar noch einen dritten Schacht neben dem Preinerwand- und dem Holzknechtschacht. Und wie wir wenige Tage später – Robert hätte es schon nicht mehr länger erwartet – mit Höhlen- und Kletterzeugs bepackt bei der Seehütte ankommen (Lindi, Robert und ich; der pensionierte Erich war unerreichbar) erklärt uns Franz auf einem abgegriffenen Wandfoto was er wo und wie gehört hat. Da merke ich bald, dass er den Holzknechtschacht nicht kennt, und dieser wahrscheinlich der alte „Neue“ ist. Buschtrommel-Wahrheiten. Aber der Franz liest blitzschnell in meinen Gesichtszügen, und setzt schnell noch eine andere Geschichte drauf, von einem Loch unter dem Malersteig. Da ginge es innen als Schlot nach oben und in die glatte Wand raus, und nach unten in einen Schacht. Sportkletterer hätten sich von ihren extremen Sachen durch den Schacht zum Wandfuß abgeseilt (was im Vor- und Nachhinein völlig unlogisch erscheint!)

Wir also runter über die Preinerschütt, oder über das, was von ihr noch übrig ist. In den von abertausenden schuttrutschenden Bergsteigern und bösen Unwettern ausgewetzten Runsen krabbeln dutzende Wanderer und Klettersteig-Aspiranten kreuz und quer, sich panisch anklammernd, Steine lösend, abrutschend, fluchend und vom Steinhagel der anderen gehetzt. Seltsamer Sport! Aber wir sind Teil davon und wollen hinüber zu unserem Schacht. Der „Neue“ ist schnell als der Holzknechtschacht identifiziert. Also weiter zum Malersteig-Einstieg, wo sich – das gibt’s doch gar nicht, ich war schon so oft hier! – nur wenige Meter über dem Wandfuß und leicht erreichbar der Einschlupf in eine Höhle zeigt, in die schönste Höhle der Preinerwand! Nach unten geht es mit kaltem Lufthauch in einen engen, gestuften Schacht. An einem engen, sehr lehmigen Durchschlupf in eine versinterte Stufe strample ich ein bisschen herum, lasse es dann aber für heute, angesichts der sich rasch aufbauenden Lehmklumpen an den Bergschuhen. Nach oben hin ist die Höhle trocken und sauber, und in zwei senkrechten Schloten ist tatsächlich Tageslicht sichtbar. Robert spreizt sich hinauf und macht draußen in der glatten Außenwand auf Fenstergucker. Zwei geebnete Biwakplätze im Eingangsraum, die Nester im Schlot und der Vogelmist am Einschlupf lassen mich an Hochgatterers „Über Raben“ denken. Jedenfalls nennen wir das vorerst 35 m lange Loch Preinerwand-Vogelschacht.

Über den Malersteig kehren wir auf das Plateau, zu den Ribiseln und zur Seehütte zurück. Dort erzählt uns Franz noch Geschichten von Leuten, die sich aus der Steigbuchnische nicht über den Malerschritt hinaus getraut haben und die Bergrettung rufen mussten. Er hat denen dann von oben zusteigend ein Seil hinunter gelassen, um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Nicht nur einmal soll ein solcherart über den Malerschritt Geretteter dann frech gefragt haben: „Was, das war alles?“. Wir können Franz berichten, dass der eh schon seit langem wackelige „entscheidende“ Tritt inzwischen abgegangen ist, die Stelle aber immer noch ein Dreier ist. Vielleicht heißt der Quergang ja irgendwann „Malheur-Schritt“ statt „Malerschritt“. Und wir erzählen natürlich von der Höhle und dass wir unten nicht fertig gemacht haben, weil man sich dort völlig einsauen muss. Darauf er verwundert: „I hab glaubt, deswegen macht man des?“

Nach Kaffee und Marzipankuchen, den wir am Vormittag glücklicherweise reserveriert haben, weil „heit hätt i eam scho 17 mal verkafn kenna“, wenden wir uns im Abstieg aber noch der Sache am Göbl-Kühn-Steig zu. Wenn man weiß wo, dann ist die Schneise nicht zu verfehlen, die Volki berserkend durch die Latschen bis zum Schacht geschnitten hat. Als wir den beachtlichen Trichter erreichen flattern hunderte kleine weiße Schmetterlinge aus dem Schacht empor. (An den Getränken auf der Hütte kanns nicht gelegen sein, dafür waren sie zu billig.) Der oben 14 m weite Trichter verengt sich in einen immerhin noch 6 m weiten, senkrechten Schacht, der im Minimum 11 m tief ist (und hangseitig, wenn man will, 20 m). Die Fortsetzung ist tatsächlich minimal, aber es bleibt das Kuriosum, dass ein so mächtiges Ding in dieser Lage erst 2018 gefunden und 2019 vermessen wird. Nachdem Volki ihn nicht vermessen hat nehmen wir uns auch hier das Recht der Benennung heraus und taufen das Loch Schmetterlingschacht. Bis sich wieder jemand dafür interessiert wird Volkis Latschenfrevel längst wieder zugewachsen sein, und viele weitere Generationen von Schmetterlingen werden ungestört vom nahen Touristenrummel dem Schacht entschwebt sein.

Mit dabei: Robert Fröhlich, Eckart Herrmann, Gerlinde Herrmann
Vermessen: 49 m

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Robert bei den Ribiseln. F.: E. Herrmann
Robert bei den Ribiseln. F.: E. Herrmann
Preinerwand-Vogelschacht, Eingang. F.: R. Fröhlich
Preinerwand-Vogelschacht, Eingang. F.: R. Fröhlich
Robert spreizt sich den Schlot hinauf. F.: E. Herrmann
Robert spreizt sich den Schlot hinauf. F.: E. Herrmann
Trocken, sauber und versintert. F.: E. Herrmann
Trocken, sauber und versintert. F.: E. Herrmann
Robert im unteren Einstieg. F.: G. Herrmann
Robert im unteren Einstieg. F.: G. Herrmann
... und als Fenstergucker im Oberen. F.: G. Herrmann
... und als Fenstergucker im Oberen. F.: G. Herrmann
Schmetterlingschacht, gesehen von der Preinerwand. F.: E. Herrmann
Schmetterlingschacht, gesehen von der Preinerwand. F.: E. Herrmann
Abstieg im Casteret-Stil. F.: R. Fröhlich
Abstieg im Casteret-Stil. F.: R. Fröhlich
Am Grund des Schmetterlingschachtes. F.: R. Fröhlich
Am Grund des Schmetterlingschachtes. F.: R. Fröhlich

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