Schotterschleppen aus dem Almberg-Höhlensystem

4. März 2024   Totes Gebirge

Text: Mateusz Golicz



Wieder einmal gelang es mir, im Verlauf von Jaceks Forschungen über die Abfolge verschiedener Ereignisse in der Vergangenheit eine interessante Höhle zu betreten. Eine seiner aktuell beliebten Methoden basiert auf der Analyse der Abenteuer von Quarzkörnern, die sich vor dem Bombardement der allgegenwärtigen kosmischen Strahlung in den Untergrund geflüchtet haben. Leider ist dieser Quarz oft sehr gut mit all dem anderen Schmutz vermischt, so dass alles zusammen in großen Mengen herausgeholt wird. Die Trennung der Spreu vom Weizen erfolgt dann später in Ruhe im Labor, mit Hilfe von entsprechend motivierten und mechanisierten Fachkräften.

Unser gesamtes Team versammelte sich am Sonntag nach einer ausgeklügelten Choreographie. Jacek und ich fuhren zunächst an einem sonnigen Nachmittag durch Tschechien, um nach Sonnenuntergang den Parkplatz am Bahnhof in Mürzzuschlag zu erreichen. Dort trafen wir uns mit Lukas und packten in sein Auto um, um dann gemeinsam die zweistündige Fahrt nach Bad Mitterndorf anzutreten. Eva war in der Zwischenzeit mit dem Zug in dem Dorfangekommen, hatte in der Bahnhofspizzeria einen Tisch reserviert und Essen für uns bestellt. So konnten wir noch in Ruhe essen, bevor das Restaurant schloss.

Für den Abend zogen wir in die Vereinsräume des obersteirischen Höhlenforschungsvereins "VHO", einem der vielen Vereine, denen Lukas zugehört. Das war der Moment, in dem ich merkte, dass im Kofferraum meines Autos in Mürzzuschlag eine Tasche mit "Basislagerkram" vergessen worden war. Nicht nur mit meiner Zahnbürste, sondern auch mit allem, was ich für den Zustieg zur Höhle anziehen musste. Jeder, der mich kennt, weiß, wie ein kleines Detail, das ich übersehen habe, während alles andere perfekt geplant war, mir den Tag verderben kann. Mein Gesicht war so, als würde ich am nächsten Tag nicht zu einer Höhle, sondern zu einer schwierigen Zahnbehandlung gehen. Allerdings gelang es mir, die fehlenden Kleidungsstücke mit wenigen Opfern seitens meiner Begleiter zu ergänzen. Auch stellte es sich überraschenderweise heraus, dass Lukas genau die gleiche Sehschwäche hat wie ich und die gleiche Marke von Kontaktlinsen benutzt. In gewisser Hinsicht könnte man sagen, dass ich zu viel Ausrüstung hatte, denn am Ende stellte sich die Tasche als unnötig heraus....

Unser Start am Montag war erschreckend effizient. Wir sind um 06:30 Uhr aufgestanden, und eine Stunde später waren wir schon nach dem Frühstück, nach dem Kaffee, nach dem Starten der Darmperistaltik, nach dem Einkaufen von Sturmfutter, und obendrein schon auf dem Weg zum Grundlsee. Um sieben Uhr zweiundfünfzig parkten wir auf einer Forststraße kurz vor dem Schild "Holzeinschlag, Betreten verboten" bei etwa 850 m Seehöhe. Der Weg zum Eingang führt zunächst über eine bequeme Straße, die wir vielleicht sogar mit dem Lukas 4x4 hochfahren könnten. Da ich meine Tasche vergessen hatte, trug ich statt einer Winterhose eine leichte Hose geeignet für bequeme Autofahrt. Bei frühlingshaften April-Schneeverhältnissen und stark wärmender Sonne war das optimal. Nach einer halben Stunde waren wir von der Straße los und befanden uns nun schon auf dem richtigen Weg Richtung Appelhaus führte. Ab ca. 1300 m begann es ernsthaft mit dem Schnee, aber dank des frühen Starts schafften wir die letzten, etwas steilen 250 Höhenmeter bis zum Eingang ohne einzusinken; auf einem einigermaßen festen, aber nicht zu festen Schnee.

Die Öffnung bietet ein schönes Panorama auf den Grundlsee. Der dahinter liegende Toplitzsee, wo die Nazis vor Jahren angeblich Gold versteckt haben, ist nicht zu sehen.  Ich dachte, dass ich mich normalerweise schnell vorbereite, aber dieses Mal war ich der Letzte, der die Höhle betrat und musste dem Rest des Teams hinterherlaufen.  An dieser Stelle wäre es wohl angebracht, ein paar Fakten über die Höhle selbst zu erwähnen. Zuerst muss man wissen, dass sich im Toten Gebirge die längste Höhle Österreichs befindet - das Schönberg-Höhlensystem mit einer Länge von über 156 km. Nun, die Almberghöhle, in der wir waren, ist nicht Teil dieses Systems. Stattdessen ist sie ein Bestandteil des "kleineren" Almberg-Höhlensystems mit drei Öffnungen und einer Länge von 26 km (... zum Vergleich, "unser" Gamssteig-Höhlensystem am Hohen Göll ist derzeit 10 km lang). Die Höhlen, aus denen es besteht, sind schon seit langem bekannt (... viele Teile wirden in den seit den 1970er Jahren entdeckt), wurden aber erst im 21. Jahrhundert verbunden. Weitere Forschungsarbeiten sind im Gange, geführt durch eine Gruppe von Höhlenforschern aus Franken.

Der Einsatzplan sah einen Besuch an zwei relativ abgelegenen Orten vor: Rio Negro und Broadway. Lukas, der vor einiger Zeit zwecks morphologisch-geologischen Untersuchungen in diesem System war, hatte genau an diesen Stellen einige Quarzkörner gesehen. Die Höhle ist recht labyrinthisch, und obwohl sich unser Führer oftmals den Plan konsultierte, blieben wir von einigen kleineren Irrwegen und Rückzügen nicht verschont. Für den Weg vom Eingang bis zum Rio Negro brauchten wir knapp drei Stunden, und es war ein fesselnder, angenehmer Weg. Rauf, runter, rauf, runter.... Aber damit es nicht zu langweilig wurde, waren ab und zu ein paar Übungen aus dem Höhlen-Yoga-Handbuch nötig. Kurze Aufstiege, etwas technische Abstiege, Traversen... Manchmal mussten wir uns sogar durch Engstelle kämpfen, aber nur eine Weile - gerade genug, um unsere steifen Knochen ein wenig zu dehnen, aber auch, um nicht zu müde zu werden. Wir benutzten die Schachtausrüstung ein wenig, aber eher auf kurzen Rampen und Traversen, da es anscheinend nicht viele solcher "Vertikalen" im Almberghöhlen-System gibt. Auf dem Weg dorthin kamen wir an einem "postdeutschen" Biwak und an einer Stelle vorbei, die mit Tropfsteinen verziert war. Geologen machten mich auch auf die sehr deutlich ausgeprägte, paragenetische Decke und die Hinweise auf den "Aufenthalt" der Höhle in der epiphreatischen Zone (oder vielleicht andersherum) aufmerksam.

Wir hatten ein ordentliches Picknick am Rio Negro: warme Suppe (sprich Natriumglutamat), Bergkäse, Fuet-Wurst, Nüsse, Schokolade, Tortilla mit Hummus und Halloumi-Käse und so weiter. Von der Klippe oberhalb des (vorübergehend trockenen) "Schwarzen Flusses" nahmen wir eine Probe, die vielversprechend zu sein scheint. Außerdem sahen wir uns die interessanten "schwarzen Steine" an, die hier gefunden wurden, oder genauer gesagt, die Göthite. Über sie gibt es eine vorläufige Theorie, bei der das Erdinnere, Schwefel, Eisen, Karstwasser, Schwefelsäure und schließlich Gips eine Rolle spielen. Und ich werde es vielleicht bei diesem allgemeinen Überblick belassen, da alles noch vorläufig ist und bestätigt werden muss. Das Wichtigste bei all dem war jedoch die zweite Quarzprobe, die einfach auf dem Weg gesammelt wurde und hauptsächlich aus gutem, glasigem Kies bestand. Neben einer Pfütze an einer Ecke des Ganges gab es so viel Fundmaterial, dass die ganze Aschenputtel-Arbeit eifrig an Ort und Stelle erledigt wurde. Die Professoren konnten sich nicht davon losreißen, den Quarz aus dem Kalkstein zu picken. Eva versprach ein paar Mal, dass dies "die letzten fünf Körner sind", aber ein paar Mal war sie beim vierten weich geworden und sammelte weiter.

Um den zweiten geplanten Punkt - den Broadway-Gang - zu erreichen, mussten wir ein gutes Stück des Weges bis zur Abzweigung unweit des Eingangs zurückgehen. Zur Abwechslung schafften wir es sogar, eine etwas andere Route zu nehmen. An dieser Abzweigung ließen wir natürlich eine Schokolade und zweieinhalb Kilo von diverse gesammelten Steinen, um nicht zu viel zu tragen. Der Weg zum Broadway beginnt mit einem steilen Anstieg über eine Rampe und gehört zu den etwas anstrengenderen - wegen des Lehms - aber darüber kann man sich sowieso nicht beschweren. Diesmal wurde er durch bergmilchige Wände und einen "Tropfgrab" variiert - Schutt aus zerbrochenen Stalaktiten, die vollständig mit Kalzitglasur überzogen sind. Sowohl was das Picknick als auch die Proben angeht, war die Situation so ziemlich die gleiche wie zwei Stunden zuvor. Das Picknick am Broadway war reichhaltig, und das Siliziumdioxid war auch da, aber die Wissenschaftler freuten sich am meisten über die Schätze, die sie am Weg dorthin  fanden. Also völlig zufrieden, liefen wir zurück zum Tagesöffnung.

Zu unserer Überraschung war es draußen noch hell. Statt der geplanten zehn, vielleicht zwölf Stunden unter Tage dauerte die Mission nur etwas mehr als sieben Stunden. Das ist einfach 'no nonsense caving'! In der Zwischenzeit war der Schnee nach einem sehr sonnigen Tag deutlich aufgeweicht, so dass wir beim Abstieg bis zu den Knien einsanken. Aber am Ende ist es gar nicht so ein Problem, wenn man einen steilen Hang hinuntergeht. Einige von uns schafften es sogar, ein ganzes Wegstück auf dem Hintern nach unten zu rutschen. Die einzige kleine Unannehmlichkeit, die ich aufgrund dieser Bedingungen erlebte, war, dass meine Schuhe bis auf die Haut durchnässt waren.

Für das späte Abendessen sollten wir eigentlich Tiefkühlkost essen, die in der Vereinsmikrowelle aufgewärmt werden sollte .... aber es gab nur wenig Diskussion über die Planänderung. Wir entschlossen uns für das Restaurant "Kirchenwirt", das uns Forellen, ein Pfannengericht mit Wok-Nudeln, eine Auswahl an gegrilltem Fleisch und mineralstoffreiche regionale Getränke servierte. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob unsere Energiebilanz an diese m Tag einen Überschuss oder ein Defizit aufwies. An unserem Tisch saß auch Robert Seebacher, Präsident und Triebfeder des bereits erwähnten örtlichen Höhlenvereins "VHO". Und so beendeten wir den Tag mit dem Austausch vieler Höhlenneuigkeiten und dem üblichen Geplauder in drei indo-europäischen Sprachen, von denen zwei germanisch und eine slawisch wir. Und was geschah dann? Nur das Übliche. Jemand schnarchte nachts unheimlich, irgendwo auf der Autobahn gab es eine Baustelle, jemand gab zu, dass er sich fünf Tage lang nicht gewaschen hatte, und ein anderer musste wieder die gleichen stinkenden Socken tragen. Und die Tasche war genau da, wo ich sie vergessen hatte!




Mit dabei: Eva Kaminsky (LHWN), Lukas Plan (u.a. LHWN und VHO), Jacek Szczygieł (Speleoclub Katowice/LVfHK Salzburg), Mateusz Golicz (RKG/LVfHK Salzburg)

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Panorama beim Eingang (E.K.)
Panorama beim Eingang (E.K.)
Umziehen (E.K.)
Umziehen (E.K.)
Am Weg zum Rion Negro (M.G.).
Am Weg zum Rion Negro (M.G.).
Rion Negro (M.G.).
Rion Negro (M.G.).
Üppige Jause (M.G.).
Üppige Jause (M.G.).
Ein romantisches Motiv, wäre da nicht... (E.K.).
Ein romantisches Motiv, wäre da nicht... (E.K.).
Jacek am Sedimentaufschluss (M.G.).
Jacek am Sedimentaufschluss (M.G.).
Erstaunlich viele (fürs Tote Gebirge) Augensteine (E.K.).
Erstaunlich viele (fürs Tote Gebirge) Augensteine (E.K.).
Abstieg, Abfahrt, Ablauf ... (M.G.).
Abstieg, Abfahrt, Ablauf ... (M.G.).

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